Stefan Thielke

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2011, Kathmandu
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Nepal im März 2011

RICHTUNG NEPAL
Von BodhGaya über Patna, Bihar, Indien nach Kathmandu/Patan

Liebe Daheimgebliebenen – ich hoffe, es tut sich was mit dem Frühling in Berlin.
Alle Strapazen, alle Schmerzen sind vergessen, wenn ich auf der Dachterrasse stehe. Vor mir auf einem Hügel ein Teil der Stadt im aufgehenden, weichen Sonnenlicht. Rechts, neben dem Baum, auf dem sich sieben grüne Papageien tummeln, die schneebedeckten Gipfel des Himalaya, langsam und stetig dem Dunst entschlüpfend, ja Dunst – und es ist kalt und feucht, vielleicht 10°C. Doch das macht nichts. Bald wird die Sonne höher gestiegen sein und das Land erwärmen.

Wo bin ich hier gelandet? Ein schönes Haus, Garten, der ruhigste Ort, den ich auf meinen Reisen bisher kennengelernt habe. Ich bin begeistert von der modernen Architektur mit den klassischen Elementen, den roten Backsteinen, den flachen roten Ziegeln, dem Schornstein, der lediglich Atrappe ist, den kleinen, die Wände abschließenden, einfachen, doch klassischen "Stukkaturen" aus rotgebrannten Ziegeln. Das ist das Außen, doch wie immer sind es die Menschen, die solchen Häusern Leben einhauchen, die hier achtsam und ruhig mit ihrer Umgebung in Einklang leben. Ein perfekter Platz, sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Danke für die Einladung und freundliche, warme Aufnahme an Franz und Heidi!

Denn ich musste es wieder einmal wissen, mal schauen, ob so ein alter Sack noch richtig durch Indien toben kann, im Bus – und dann nach Nepal?

Nachdem mich am Sonntag in Bodhgaya unter einem Sonnenschirm ein Sonnenstich ereilt hatte, lag ich ab Mittag bei über 35°C Außentemperatur frierend und mit schubweisem Schüttelfrost im Bett. Meine morgige Abfahrt schien in weite Ferne gerückt zu sein. Doch nach gut 15 Stunden fiebrigen Schlafes und wirrsten Träumen, abgemildert durch Paracetamol, war ich am Montag fit, bis auf den Kreislauf und wollte weiter. So ging es dann mit der Fahrradrikscha zum Busbahnhof.

Die fast 5-stündige Fahrt nach Patna (Bihars Hauptstadt) – solche Straßen hatte ich bisher noch nicht kennengelernt. Alle Schlaglöcher Europas schienen versammelt und konzentriert auf diese Strecke. Ich habe ja schon so einiges an Busfahrten hinter mir, doch Bihar schlägt alles. Ich war so alle, als ich Patna war, dazu wieder mehr alss 35° - also ein Hotel gesucht. Doch in der geschäftigen Stadt war alles belegt, alles was sonst 500 bis 1.000 Rs kostet. 10 Hotels abgeklappert, Rikschafahrer, die kein Wort verstehen und nach drei Versuchen in der Hitze zu Fuß weiter. Doch dann mein kleiner Führer, der auch Rikschafahrer war, was er seinem Kollegen, der mich weiterkutschieren wollte lautstark klar machte. Er zog mich weiter, schloss seine Fahrzeugketten auf und brachte mich, nachdem er verstanden hatte, dass ich nicht in verspiegelte, klimatisierte Hotels wollte (weitere drei Versuche), in ein abgelegenes, ruhiges Guesthouse, wo ich wohl der erste Gast aus Deutschland war. Ich hatte ein paar letzte kleine Rupienscheine ineinander geschoben. Als er den 20er sah, wurde sein Gesicht länger, doch als er das kleine Bündel in der Hand hatte und öffnete, noch drei, vier Zehner fand, strahlte er übers ganze Gesicht.

Heißes Wasser, Dusche, ausruhen, ausstrecken, kurz, dann raus, die Weiterfahrt organisieren. Keine Agentur, die Bustickets verkaufte, keiner, der mir weiterhelfen konnte, also mit einer Fahrradrikscha zum 7 km entfernten Busbahnhof über Schnellstraßen und Brücken durch staubige verdreckte Vorortsiedlungen. Dort kein Problem, den Nachtbus gebucht, nach Raxaul, zur Grenze. Und zurück mit zwei netten, jungen Indern im Sammeltuktuk und dann einfach in einen Bus Richtung Innenstadt – wie Schlachtvieh zusammengepfercht, gebückt ich und neugierig beäugt, doch in Ruhe gelassen und auch einen Platz bekommen, von einem jungen Inder – sie sind eben oft auch höflich. Kleines Mahl, ausstrecken, ausruhen, Mittagschlaf.

Abends auschecken. Der Kleine war so stolz. Ich hatte das neue Hotelgast-Registratur-Buch-Monster (so sieht es auch aus) begonnen. Der Eingang zum Guesthouse war beleuchtet, wie ein Sportplatz, grelles Scheinwerferlicht, wegen der nächtlichen Raubüberfälle. Ich raus mit dem Kleinen, mit meinem Gepäck, doch kein Tuktuk war frei. Also wieder mit Fahrradrikscha los, den Opa etwas heruntergehandelt. Und vor der Überführung springe ich ab, wie immer, denn ohne Gangschaltung kann er die Steigung nur schiebend nehmen und mich Klotz muss er nicht auch noch schieben. Oben wieder drauf und glücklich am Busbahnhof angekommen. Als ich ihm das Geld gebe, macht er einen Aufstand. Und ich versuche zu erklären, das das ausgemacht sei, bis ich verstehe, dass er mir Geld zurückgeben möchte, wohl weil ich abgestiegen bis, doch ich nehme natürlich nix, klopfe ihm auf die Schulter und gehe zu meinem Bus. Seit heute morgen in Bodhgaya habe ich keine weiße Haut mehr gesehn. Am Busbahnhof gibt es die ebenfalls nicht. Der Nachtbus, vollgestopft bis zum letzten Platz und wieder einmal die Beine verknoten, wei ich bei dem Sitzabstand gar nicht sitzen kann. Doch ich schlafe sogar ein, trotz der unzähligen Schlaglöcher und kann unterwegs Omelette essen, als der Morgen graut. Bin nach 13 Stunden Fahrt im verstaubten, gänzlich farblosen Raxaul. Ich warte einen Moment, als der Bus hält. Ich weiß, was kommt:

Als ich aussteige, stürzen sich die Tongafahrer (Pferdekarren) auf mich, die einzige weiße Haut, doch ich habe schon mit einem älteren Fahrradrikschafahrer verhandelt. Wir schütteln sie ab, nach annähernd handgreiflichem Streit, den ich schlichten musste mit böser Miene, donnernden deutschen Flüchen und Gesten von anderweitigem körperlichen Einsatz. Er radelt ein paar Kilometer. Ich trage mich in Indien aus, in Nepal, ein paar Hundert Meter weiter, wieder ein, zahle, bekomme Stempel und lande dann bei ein paar Halsabschneidern, die mir jedoch einen guten Platz im kleinen Bus sichern – zum Normalpreis. Der Rikschafahrer passt auf, dass ich heil abfahre und holt mich aus einem Restaurant, weil der Bus doch gleich fahre. Doch bis der Bus voll ist, braucht es anderthalb Stunden und wieder ein paar Meter fahren und halten, fahren und halten, die Jungs immer raus, Leute anschleppen, ...

Dann geht es endlich los. Der Fahrer sieht aus wie 14, reicht mir bis kurz über die Hüfte und prügelt das Fahrzeug mit Maximalgeschwindigkeit durch die Straßen. Immer wieder kommen neue Leute, auch eine Russin, auf der Suche nach einem neuen Ashram, alt, faltig, doch mit jungen, indischen Begleiter!!! Die Fahrt durch Reisfelder und Grün, Dörfer voller Lehmhütten, verstaubter Menschen und entspanntem Vieh ist vorbei. Indien liegt hinter mir, Bihar. Hier gibt es Industrie, Flächenbrand von Zementfabriken, Ziegeleien, Schlangen von Treibstofflastwagen, .... Fast ohne Pause fahren wir bis nach 20:00Uhr. Ich steige einfach aus bei einem der unzähligen Halts, der Suche nach weiteren Kunden und sage, dass ich pinkeln gehe. Sie fluchen, doch sie machen nix und warten.

Die Überholmanöver schlagen jeden Actionfilm, den ich gesehen habe, bisher. Und schliesslich die "Paßstraße" bei untergehender Sonne und der gepeitschte Motor, ich schaue dem Fahrer genau über die Schulter, doch ich bleibe ruhig, die ganze Zeit, während einige Frauen ihn zu ermahnen scheinen, doch ich verstehe kein Wort. Und dann sind wir fast in Kathmandu, weg von der Passstraße, es wurde Zeit, denn es ist jetzt stockfinster. Und ich steige aus, glücklich, erschöpft und suche mir ein Taxi, d.h. Suchen muss ich nicht.

Und in der Dunkelheit sehe ich Franz, er findet mich auf der Straße. Ich gehe mit ihm durch das ruhige, schöne Patan und genieße meine Ankunft. Doch am nächsten Tag macht sich die Fahrt bemerkbar. Ich spüre die Druckstellen an den Beinen, Dehydrierung und Müdigkeit, doch das Kathmandutal ist von Gewitter und Regen überzogen. So fahren wir erst spät nach Thamel, in die Touristenhochburg. Dort kaufe ich mir ein Ticket für den Rückflug nach Delhi und begrüße meine Nachbarschaft und die Hotelfamilie vom vergangenen Jahr. Bin ziemlich geschafft und abends dann recht zeitig im Bett.

...Heute waren wir den ganzen Tag in der Umgebung Unterwegs. Erst hoch auf einen Berg, auf ca. 1.800 m, was hier ja gar nichts ist. Und dann ein wunderbarer Spaziergang mit Blick auf Himalayaschneespitzen, die Täler voller Felder in Terrassenform, Dörfer mit einigen übriggebliebenen alten, traditionellen Häusern  und überhaupt einer wunderbaren Sicht ins Kathmandutal und angrenzende. Wahnsinn ist es, diese Häusermeere von oben zu sehen und nichts zu hören, die Nase voller Kiefernduft und alles bei schönstem Sonnenschein. Auch hier boomt der Tempelbau, das Bauen überhaupt. Bald werden von den stadtnahen Feldern keine mehr übrig sein, fürchte ich. Kein erdiges Braun, kein leuchtendes Grün frisch angepflanzten Reises, kein Gelb der Senfölpflanzen - das wäre sehr schade...

Ich war dann später noch einmal unterwegs, finde jedoch sehr gut durch die kleinen Gassen und immer wieder nach Haus. ... und verwöhnt worden sind wir heute mit wunderbarem Hühnchen in Weißweinorangensauce mit Reis und chinesischem Gemüse. Morgen werde ich wieder viel mit Franz unterwegs sein wie auch die kommenden Tage. Im Gegesatz zum vergangenen Jahr, wo mich dann der Darmfluch ereilte, kann ich jetzt alles nachholen und habe Ausblicke und Einblicke bekommen, auf die ich allein nicht gekommen wäre.

Herzliche Grüße und warme Sonnenstrahlen in eure Herzen,

Stefan