5 Dekonstruktion 1 und 2

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5.13 Nachtrag

1. a) Der Begriff der Schrift ist Derridas strategischer Einsatz gegen das, was er den fundamentalen Phonozentrismus der Philosophie nennt, „die Privilegierung der Stimme“. Der Glaube an die Priorität des Ersten, des Einen, Reinen, der sich im ‘Phonozentrismus’ manifestiert, ist exemplarisch für die Modelle und Konstruktionen, die zum Gegenstand der Derridaschen ‘De-Konstruktion’ werden; dieser Glaube funktioniert nur durch die komplementäre Vorstellung eines Anderen, des ‘Zweiten’, das als die Komplikation, Negation, Manifestation oder Zerstörung des ‘Ersten’ zu denken ist. Symptomatisch für diese Modelle ist die Abwehr der ‘verderbenden’ Schrift, die sich der „lebendigen Rede“ nicht nur parasitär auflagert, sondern diese auch infiziert. Schrift steht der Illusion der Durchsichtigkeit der Sprache, die sich als Transportmittel in der Botschaft möglichst restlos auflösen sollte, entgegen, die – seit Platon – mit dem Vorrang der Stimme und einer Abwehr der Schrift gekoppelt ist. Schrift weist darauf hin, dass die Sprache kein transparentes Medium ihr vorgängiger Gedanken oder Gefühle ist; sie ist Markierung, die sich vom Autor und dessen Intention ablösen kann und die damit auf ein Funktionieren aller Zeichen als solcher hinweist. (Menke, 244)

Die Aufmerksamkeit für die Sprachlichkeit oder Textualität unseres ‘Wissens’ stellt ‘als solche’ die Stabilität jeder Bedeutung und jeden Wissens ‘von etwas’ in Frage. Die ‘Arbeit’ des Textes: „die offene und produktive Fortbewegung der Textkette“ wird gegen deren Fixierung auf und in Aussagen beobachtet. Eine solche Lektüre findet im Innern der Texte deren Außen auf, das also, was sie fernhalten wollen und müssen. Ein solches Lesen exponiert den Text als eine ‘Oberfläche’ mit Rissen und Furchen.

Lektüren, die in den Texten eine ‘Wiederherstellung’ der Präsenz des Sinns suchen, müssen sich auf die Sprache als bloße Statthalterin, als Repräsentation, als ein bloßer Ersatz für Fehlendes und Nicht-Abwesendes, ‘verlassen’. (Menke, 251f.)

2. Die traditionell als eien Form der Übertragung definierte Form der Metapher konnte von Derrida und de Man als ein Paradigma der Dezentrierung verstanden werden, die die Sprache als Bündel von Differenzen insgesamt kennzeichne. Dabei kann Hans Blumenbergs Entwurf einer „Metaphorologie“ (nach Haverkamp) eine Vorläuferrolle für die Dekonstruktion für sich beanspruchen. Insbesondere am Beispiel der Rede vom „Licht der Vernunft“ entwirft Blumenberg eien Theorie der „absoluten Metapher“, die sich allerdings letztlich nur als Ergänzung der traditionellen Begriffsgeschichte versteht. (Geisenhanslüke, 116f.)

3. Im Vergleich zu Blumenberg entgrenzt Derrida die Metaphorologie, indem er sie von jeder Dienstbarkeit gegenüber der Begriffsgeschichte befreit: Mit Nietzsche versteht Derrida die Metapher zugleich als Subversion philosophischer Begrifflichkeit.

Derrida begreift den philosophischen Text als eine Kreisbewegung, die sich beständig um ein leeres Zentrum herum bewege, das sich ihr einerseits als das Licht der Vernunft, andererseits aber als die Verdunkelung des Sinns durch die Sprache zeige. Wird der philosophische Text für Derrida ganz von der Metapher beherrscht, so ist dies demzufolge keinesfalls als Prozess der Offenbarung der Wahrheit. Im Vordergrund steht vielmehr die Idee eines Selbstverlustes des Sinns in der metaphorisch strukturierten Sprache, den die Philosophie durch ihre logischen Anstrengungen vergeblich wiedereinzuholen versucht.

Für Derrida ist die Philosophie ganz und gar von der dezentrierenden Arbeit der Metapher abhängig. Damit vollendet Derrida eine Umkehrung des traditionellen philosophischen Vorrangs des Begriffs vor der Metapher, die sich bei Blumenberg bereits angedeutet hatte. (Geisenhanslüke, 117f.)

4. Auch de Man vollzieht eine Rhetorisierung der Philosophie im Zeichen der Metapher, in deren Zusammenhang die Rhetorik der Sprache über die logische Begrifflichkeit die Oberhand behält. Bei de Man wie bei Derrida geht es letztlich um eine Selbstaufhebung der Philosophie durch die Metapher. (Geisenhanslüke, 118)

5. Was die Theorien von de Man und Derrida kennzeichnet, ist die Tendenz zu einer Allegorisierung der Metapher. Die sprachliche Form der Bedeutungsübertragung wird auf die metaphorische Übertragungsleistung der Sprache selbst zurückbezogen: In der Form der Übertragung funktioniere die Metapher immer schon als eine Defiguration des Sinnes, da die Übertragung auf keinen Bereich der eigentlichen Bedeutung zurückführe, sondern Bedeutung im tropologischen System der Metaphern suspendiert werde.

Der Sinnverlust der Philosophie erscheint als Folge des Scheiterns der Sprache, eine andere als

eien übertragene Bedeutung vorzubringen, wobei das Problem eben darin bestehe, sich hinter der Übertragung keine eigentliche Bedeutung mehr verberge.

Damit gibt sich die Dekonstruktion zugleich als ein Unterfangen zu erkennen, das, das selbst auf metaphorischen Grundlagen ruht: Die Dekonstruktion der sprachlichen Bedeutung durch Hinweis auf die unhingehbare Uneigentlichkeit der Sprache führt zu einer Theorie, die nichts anderes als den immer neu sich wiederholenden allegorischen Verlust der philosophischen Wahrheit in der Sprache in das Zentrum ihrer Überlegungen stellt. Die Uneigentlichkeit der Metapher wird zur Allegorie des Sinnverlusts in der Sprache. Damit bewegt sie sich auf dem Boden der Analogie. (Geisenhanslüke, 119f.)


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