5 Dekonstruktion 1 und 2

[zurück]

5.12 Kritik

1. Die Grenzen des D. liegen nicht nur in seiner mangelnden pragmatischen Komponente, insofern er sich auf kulturelle ‘Inhalte’ stets nur parasitär beziehen kann; sie liegen auch in den eigenen epistemologischen und texttheoretischen Voraussetzungen. So führt der Versuch der Abschaffung einer zentrierten und hierarchisierten Begrifflichkeit in einen Selbstwiderspruch, der durch keine noch so ausgeklügelte terminologische Vermeidungsstrategie entschärft werden kann, vielmehr auf einer Metaebene unvermeidlich neue Begriffszentren und -hierarchien hervorbringt (‘Schrift’, ‘Differenz’ usw.). Auch die Texte des D. müssen, wenn sie überhaupt einen Erkenntnisanspruch erheben wollen, abstrahieren und generalisieren. Und sie müssen darüber hinaus so geschrieben sein, dass sie von ihren intendierten Lesern verstanden werden können. Dies setzt voraus, dass ihre Begriffe einen (wie auch immer umwegig bestimmten) Bedeutungskern besitzen, womit aber der Prozess der différance gerade suspendiert ist. (Zapf, 86)

2. Unter professionellen Linguisten findet Derridas Radikalisierung des gegenwartstypischen Gedankens einer unendlichen Pluralität der Bedeutungen nur wenig Zustimmung. Vielen Literaturwissenschaftlern erschien sie jedoch als eine nützliche Waffe im Kampf gegen bürgerliche Sprach- und Literaturauffassungen, die im Sinne des traditionellen Identitätskonzeptes nach der einzigen ‘richtigen’ Bedeutung irgendeines Textes suchen wollten. Vertreter dieser Spezies sind allerdings ohnehin selten geworden; manche Dekonstruktivisten errichteten sich deshalb ein wirklichkeitsfernes Feindbild von identitätsversessenen Hermeneutikern, die angeblich auf eine derartige Bedeutungsfestlegung abzielen. Mit der von Manfred Frank entwickelten (nachbürgerlichen) Neohermeneutik darf dieses Feindbild nicht verwechselt werden. (Schneider, 223)


[zurück]