mixed pixels - nam june paik
name june paik students. video dreams - ausstellung im kunstmuseum duesseldorf vom 5.4.-5.5.1996

Dieter Daniels

High & Low
Tech & Culture

Solange Künstler mit Geräten arbeiten, die sie nicht selbst erfunden haben, sondern "ready-made" von der Industrie übernehmen, so lange gibt es schon den Streit, wer zuerst da ist: die technischen Geräte oder die künstlerische Idee. Dahinter steht eigentlich eine andere Frage: wenn ich ein Stück Medienkunst mit komplexer Technik vor mir sehe, wessen Erfindungsgeist soll ich bewundern, den des Technikers, der dieses spezielle Gerät entwickelt hat, oder den des Künstlers, der mit diesem Gerät eine spezielle Idee realisiert hat? Auf was soll ich mich konzentrieren, die Idee oder die Funktion? Seit mehr als 30 Jahren haben sich die Bewertungen immer wieder verschoben: die 1960er begannen mit einer großen Faszination für die neuen Mittel Video und Computer, die 1970er bis 1980er haben von Videoperformance bis Videoskulptur die Reinheit der Kunst gepredigt, in den 1990ern kommt mit der digitalen Technik sowie Interaktivität und Netzwerken ein erneutes Interesse an den medialen und technischen Aspekten auf.

Paik ist es gelungen, über 30 Jahre hinweg die Balance zwischen diesen zwei Feldern zu wahren. In seiner "Exposition of Music - Electronic Television" in Wuppertal 1963 waren die elektronisch modifizierten Modelle eines "participation TV" auf denen man z.B. mittels Sound tanzende Muster erzeugen konnte, definitiv "High-Tech" und weisen voraus bis zur Diskussion um das interaktive Fernsehen von heute. Das ebenfalls in Wuppertal ausgestellte "Zen for TV", ein zufällig defektes Gerät, dessen TV Bild zu einer einzigen Linie zusaKl-listemmengefallen ist, war definitiv "Low-Tech", ist aber zu einer Ikone der Videokunst geworden.

In den 1970ern baut Paik mit Shuya Abe einen ersten Videosynthesizer, der das elektronische Bild zu einem plastischen Material macht und die heute gängigen MTV Effekte vorwegnimmt. Kurz darauf schafft er mit dem "TV Buddha" die Idealfigur für die Verweigerung gegenüber der Medienfaszination.

1988 engagiert er David Bowie für sein multikulturelles, interkontinentales Satelliten-TV-Entertainment "Wrap around the world" und schenkt seiner Heimatstadt Seoul mit "The more the better" mittels 1003 TV-Monitoren ein ironisches Denkmal des koreanischen Wirtschaftsprogramms von Fortschritt durch Technik. Kurz darauf verwandelt er den Portikus in Frankfurt durch eine einzige Kerze mittels Videotransmission und Projektion in einen Andachtsraum des Minimalismus.

1993 stellt er auf der Biennale Venedig high & low direkt gegenüber: die stillen schwarz-weiß Bilder von "Moon is the oldest TV" von 1965 treffen auf eine flimmernde Multimonitor-Wand mit digital gemixten Recycling-Videos.

1963 hat Paik in Wuppertal sein "random access" für Schallplattenspieler entwickelt, bei dem der Besucher mit der Platten-Nadel auf mehreren sich gleichzeitig drehenden Platten herumscracht - heute ist dies die gängige Methode jedes Techno-DJs.

Paik war 16 Jahre lang Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Was soll man von jemandem lernen, der eine solch ambivalente Strategie führt?

Schon bei Paiks Vorbild John Cage findet sich dieser Gegensatz: In seinem Klassiker ohne Töne 4’33’’ wird Musik zur puren Idee, die immer neu mit Inhalt gefüllt werden muß. In seiner aufwendigen elektronischen Komposition "William Mix" hat Cage neun Monate Klebearbeit von Tonbandschnipseln nach einer graphischen Partitur investiert. Beide Stücke sind aus dem Jahr 1952 und beide sind 4 1/2 Minuten lang. Sie verkörpern die Dialektik von Reinheit des blossen Konzepts und Mühsal der technischen Umsetzung, welche die gesamte Geschichte der Verbindung von Kunst und Technik begleitet.

Was hat Paik von Cage gelernt und was können seine Studenten von Paik lernen? Ambivalenz ist kein bloßes Kunstmittel. Es geht nicht alleine darum, sich nicht festzulegen und in keiner Sackgasse, der Technik oder der Kunst, zu landen. Sondern man muß den Widerspruch als so grundsätzlich auffassen wie den von Henne oder Ei. Die Frage von Kunst oder Technik ist die nach Idee oder Material – und als solche so alt wie der Streit zwischen Materialismus und Idealismus, der nach Ende des Kalten Krieges und mit Beginn der digitalen Ära gerade seine neueste Auflage erlebt.

"Bin ich ein Hardware-Junkie? Ja ... wenn ich es bin ... war es auch Karl Marx." (Nam June Paik)